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Neue Perspektiven auf Katalonien

Eine Annäherung des Museums Europäischer Kulturen und des Ibero-Amerikanischen Instituts im Rahmen der 21. Europäischen Kulturtage des MEK

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Das Museum Europäischer Kulturen (MEK) veranstaltet jedes Jahr im Sommer die Europäischen Kulturtage und stellt europäische Länder, Regionen und Städte vor. Organisiert werden die Kulturtage in internationaler Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Kulturinstituten, Vereinen, Communities oder den jeweiligen Botschaften in Berlin sowie Partnermuseen in den betreffenden Ländern. In diesem Jahr stand vom 15. Juni bis zum 13. Juli 2025 Katalonien im Fokus. 

Katalonien (Catalunya) liegt im Nordosten der Iberischen Halbinsel an der Mittelmeerküste. Das historische Wechselspiel zwischen politischer Autonomie, kultureller Eigenständigkeit und Unterdrückung prägt die Region bis heute. In Vorträgen und Gesprächsrunden beleuchteten Expert*innen aus Wissenschaft, Literatur und Kultur die bewegte Geschichte Kataloniens, die Bedeutung der katalanischen Sprache und die lyrischen Schätze der Moderne und der Gegenwart. Katalanische und gemischte Musikensembles verbanden ihre traditionellen musikalischen Wurzeln innovativen Elementen und eigenen Kompositionen, von Volksmusik bis Elektro.

Die diesjährigen Kulturtage sind in Kooperation mit der Vertretung der Regierung von Katalonien in Deutschland, dem Ibero-Amerikanischen Institut, der Botschaft von Spanien und dem Verein der Freunde des Museums Europäischer Kulturen entstanden.

Das Ibero-Amerikanische Institut (IAI), das wie das Museum Europäischer Kulturen Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) ist, hat drei Veranstaltungen zu der Reihe beigetragen:
 

Vortrag „Katalanisch und Schwäbisch. Überraschende Gemeinsamkeiten und Verbindungen“

Sprachen können Gemeinsamkeiten aufweisen, die durch eine parallele Entwicklung und nicht zwangsläufig durch eine direkte Berührung entstanden sind. Dies ist im Zentralkatalanischen und Schwäbischen der Fall. In seinem Vortrag am 3. Juli ging Javier Caro Reina (Universität zu Köln) diesen Parallelen nach. Dabei stützte er sich auf die die Klassifizierung von Sprachen in Wort- und Silbensprachen. Es handelt sich dabei um einen typologischen Ansatz zur Strukturierung und Organisation gesprochener Sprache. Wortsprachen wie das Deutsche verlegen sich vornehmlich auf Wörter als grundlegende Bedeutungseinheit, während Silbensprachen wie das Spanische den Schwerpunkt auf Silben setzen. Der Sprachwissenschaftler erläuterte, wie die Wahrnehmung von Sprachen als hart und abgehackt (wie z.B. im Deutschen) oder schnell und bunt (wie in den romanischen Sprachen) eng verbunden ist mit dieser unterschiedlichen Ausrichtung. Denn bei Silbensprachen werden die Wörter eher verschliffen, während bei Wortsprachen die Wörter deutlich voneinander abgegrenzt mit Pausen ausgesprochen werden. Das Katalanische ist interessanterweise eher wortsprachlich ausgerichtet und bewegt sich in dieser Hinsicht zwischen dem Deutschen und Spanischen. Dialekte wie das Schwäbische sind in Teilen wortsprachlich geprägt, so dass sich das Schwäbische und das Katalanische in gewisser Weise annähern. Der Vortrag zeigte auch Parallelen und Gemeinsamkeiten im Hinblick auf Wortschatz und Grammatik. Beispielsweise wird im Schwäbischen wie im Katalanischen auf ähnliche Weise die Uhrzeit beschrieben: „dreiviertel neun“ bzw. „tres quarts de nou“ für 8:45 Uhr. Und wenn man von einer Person spricht, wird gern der Vorname mit Artikel kombiniert: „Der Peter“ bzw. „En Pere“. 

Den parallelen Sprachentwicklungen folgten bis in die Gegenwart vielfältige Verbindungen zwischen beiden Regionen, von der durch Karl den Großen gegründeten „Spanischen Mark“, die weite Teile Kataloniens umfasste, bis zu den engen kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Katalonien und Baden-Württemberg heute. Beide gehören zu den „Vier Motoren für Europa“, einem 1988 gegründeten Netzwerk von vier der wirtschaftsstärksten Regionen Europas: Baden-Württemberg (Deutschland), Katalonien (Spanien), Lombardei (Italien) und Auvergne-Rhône-Alpes (Frankreich). Diese Regionen tragen maßgeblich zur Entwicklung Europas bei. Die Handelsbeziehungen zwischen Katalonien und Baden-Württemberg reichen viele Jahrhunderte zurück, wie die Delegierte der Regierung Kataloniens in Deutschland, Marie Kapretz, in ihrer Einführung erinnerte. Beispielsweise wurde im 16. Jahrhundert der Textilstoff Barchent von Baden-Württemberg nach Katalonien verkauft. Und aus jener Zeit datiert ein deutsch-katalanisches Wörterbuch für Kaufleute und Handwerker. 

Damals wie heute sucht man also den Dialog und die Verständigung zwischen den Sprachen und Kulturen. Der unterhaltsame Vortrag von Javier Caro Reina bot nützliche Hinweise für das Sprachenlernen sowohl für Katalanisch- als auch für Deutschlernende. Das Publikum, in dem sich auch zahlreiche in Berlin lebende Süddeutschen und Katalanen zusammenfanden, folgte seinen Ausführungen mit großem Interesse.
 

Konzert “Històries en blanc i negre que parlen de colors. Schwarz-Weiß-Geschichten, die von Farben sprechen”

Von der Musikalität des Katalanischen konnte man sich in einem Konzert der katalanisch-spanischen Liedermacherin Ares Gratal am 9. Juli überzeugen. Es gelang ihr sogar, die begeisterten Zuhörer*innen zum Mitsingen zu bewegen – auch ohne Katalanisch-Kenntnisse. Die inzwischen in Berlin lebende Künstlerin ist Sängerin, spielt Saxofon sowie Akkordeon und komponiert. Ihrer Leidenschaft für Sprachen und Literatur folgend hat sie Gedichte verschiedener Dichter vertont: Màrius Torres, Joan Salvat Papasseit, Gemma Casamajó, Gabriela Mistral und insbesondere die Gedichte ihres Großvaters Ramón Martínez. Ihr Stil ist von vielen Strömungen geprägt, von katalanischer Volksmusik über Copla und lateinamerikanische Musik bis hin zu Jazz und Improvisation. Begleitet wurde sie von dem chilenischen Gitarristen Pablo Arroyo.
 

Gespräch und Lesung „LAMEBA – Mein Barcelona. Annäherungen an eine Stadt“

Katalonien ist so viel mehr als seine Hauptstadt. Aber wenn man sich mit der Region befassen will, kommt man an Barcelona nicht vorbei, da viele Katalonien durch Barcelona kennen. Ein Gespräch mit Lesung am 26. Juni setzte sich mit der Stadt auseinander.

Vermutlich sind wenige Städte der Welt so viel beschrieben und fotografiert worden. Barcelona zählt zu den bekanntesten und sehenswertesten Städten der Welt. Der Blick der Kamera und der Reisenden ist jedoch oft ein schneller, oberflächlicher Blick von außen, der nicht erfassen kann, was die quirlige Metropole besonders macht. Hinter den Aufnahmen allzu bekannter Fassaden und immer gleicher Motive bleibt verborgen, was diese Stadt ausmacht. Und verallgemeinern lässt sich dies ja ohnehin nicht. Denn die Wahrnehmung der Stadt ist so vielfältig wie ihre Betrachter. Ihre Bewohnerinnen und Bewohner haben ganz unterschiedliche Beziehungen zu ihrer Stadt. Einen ehrenwerten und spannenden Versuch, sich der Metropole anzunähern, unternimmt das Stadtlesebuch „LAMEBA – La meva – Mi – Mein Barcelona“. Es vereint Texte über ihr Barcelona von verschiedenen Autorinnen und Autoren. Von Menschen, die dort leben, dort aufgewachsen sind oder ihre Wahlheimat gefunden haben. Diese Beiträge wurden kombiniert mit Fotografien und Geräuschen der Stadt, die per QR-Code abgerufen werden können. In einer Lesung einer Auswahl von Texten aus dem Buch und im Gespräch zwischen dem Herausgeber Ronald Grätz und zwei der Autorinnen – Michi Strausfeld und Marie Kapretz – sollte diese Stadt anders entdeckt werden, indem man sie nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu verstehen versucht. 

Durch die vielen persönlichen Geschichten, Erinnerungen und Beobachtungen entsteht das Bild einer Stadt, von der eine große Inspiration ausgeht für diejenigen, die sich ihr öffnen. „Barcelona steigt zu Kopf wie Sekt“, wie der Autor Klaus Mann ihre vielfältige Faszination beschrieb. Und eine zentrale Erkenntnis aus dem Gespräch war, dass es einer offenen Haltung in der Begegnung mit anderen Orten und Kulturen bedarf, um vorab gebildete Vorstellungen und Hypothesen anzupassen und den eigenen Blickwinkel bei näherer Betrachtung zu schärfen. Man war sich einig, dass dies die Voraussetzung sei für Verständnis und Verständigung. Andernfalls entstünden Vorurteile. Betont wurde auch die Rolle von Kultur und insbesondere Literatur, Brücken zu bauen und zum Verständnis beizutragen.
 

Die Europäischen Kulturtage in Berlin

In Europa kommt eine große Vielfalt an Kulturen, Lebensweisen und Perspektiven zusammen, zu deren Kennenlernen die Europäischen Kulturtage des MEK immer wieder aufs Neue einladen. Sie möchten Typisches vorstellen, ohne Stereotype zu verstetigen. Das Museum Europäischer Kulturen und das Ibero-Amerikanische Institut haben gemeinsam mit anderen Partnern ein abwechslungsreiches Veranstaltungsprogramm gestaltet und dabei ihre jeweiligen Expertisen, Ressourcen und Netzwerke eingebracht und ihre Zusammenarbeit vertieft. Das Berliner Publikum hat großes Interesse an der katalanischen Kultur gezeigt und hat die Veranstaltungen zahlreich besucht. 

Die begleitende Ausstellung zu den Kulturtagen „Vamos a la playa. Ferien unter Franco“ (externer Link, öffnet neues Fenster) ist noch bis zum 7. Dezember 2025 im MEK zu sehen. Auch hierzu gibt es ein Begleitprogramm (PDF, 1,54 MB) (öffnet neues Fenster), (diese Datei ist nicht barrierefrei).
 

Begrüßung durch Jana Wittenzellner, stellv. Direktorin des Museums Europäischer Kulturen, am 3. Juli 2025 © Ibero-Amerikanisches Institut
Einführung durch Marie Kapretz, Vertreterin der Regierung von Katalonien in Deutschland, am 3. Juli 2025 © Ibero-Amerikanisches Institut
Javier Caro Reina bei seinem Vortrag am 3. Juli 2025
Begrüßung durch Barbara Göbel, Direktorin des Ibero-Amerikanischen Instituts, am 9. Juli 2025 © Ibero-Amerikanisches Institut
Begrüßung durch Elisabeth Tietmeyer, Direktorin des Museums Europäischer Kulturen MEK, am 9. Juli 2025 © Ibero-Amerikanisches Institut
Begrüßung durch Helena Cosano, Botschaftsrätin für Kultur und Wissenschaft der Botschaft von Spanien, am 9. Juli 2025 © Ibero-Amerikanisches Institut
Ares Gratal und Pablo Arroyo beim Konzert am 9. Juli 2025
Ares Gratal und Pablo Arroyo beim Konzert am 9. Juli 2025 © Ibero-Amerikanisches Institut
Marie Kapretz, Ronald Grätz und Michi Strausfeld (v.l.) im Gespräch am 26. Juni 2025 © Ibero-Amerikanisches Institut

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