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Ibero-Amerikanisches Institut
Preussischer Kulturbesitz


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Populäre Literaturzeitschriften als Suchtphänomen

Die wöchentlich oder zweiwöchentlich erscheinenden Zeitschriften boten literarische Texte zu einem kleinen Preis und erreichten damit zum Teil immense Auflagenhöhen. Der Boom der kleinformatigen Zeitschriften war so groß, dass er auch kritische zeitgenössische Kommentare hervorrief und in der konservativen Zeitung La razón als „Orgie der Wochenschriften“ oder gar als Suchtphänomen bezeichnet und mit dem Konsum von Drogen verglichen wurde:

"Si La razón ha iniciado una campaña contra los alcaloides y la sigue con brillantes resultados, justo es, para que esa campaña se integre, que ahora vayamos contra la literatura perversa e inartística, contra el libro deformante de alma y pantano de la inteligencia. Repetimos: se trata de
un alcaloide más, un alcaloide terriblemente devastador.
(La razón, 26.04.1923)"

In den 1920er Jahren war Buenos Aires eine internationale moderne Großstadt mit einer lebhaften und außerordentlich gut besuchten Theaterszene, Kinos, Revue-Theatern und einer beeindruckenden Presselandschaft  - der Konsum und Verkauf alkaloider Drogen wie Kokain war lange Zeit straffrei gewesen und wurde 1919 erstmals gesetzlich geregelt.

Zum Erfolg der Roman- und Theaterzeitschriften trug bei, dass der Buchpreis aufgrund des wenig entwickelten Buchmarktes bis in die 1930er Jahre hoch blieb. Das kleine Format der Wochenschriften bot die Möglichkeit, zu einem kleinen Preis regelmäßig Literatur am Kiosk zu erwerben und die gesammelten Hefte am Ende zu Büchern binden zu lassen.  
Die wöchentlichen Publikationen generierten eine immense Nachfrage nach neuen zeitgenössischen Texten lokaler Autoren und wurden dadurch ein treibender Faktor in der Professionalisierung der Autoren und in der Konsolidierung eines eigenen Literatur- und Buchmarktes, der schließlich durch massive Produktion vermehrt preiswerte Bücher anbot.

Mit den sinkenden Buchpreisen, die das Aufblühen des argentinischen Verlagsmarktes ermöglichte, sowie mit dem Aufkommen der neuen Rundfunkmedien verschwand diese Publikationsweise zu Beginn der 1940er weitgehend wieder.



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